Thessaloniki 02.- 07. Oktober 2001
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Kurzbericht


Im Oktober 2001 reisten zwei Vertreterinnen von "Schaworalle", die Leiterin und eine Romamitarbeiterin aus Mazedonien, die im Kindergarten arbeitet, zu einem viertägigen Austausch nach Thessaloniki in Nordgriechenland.

Im Rahmen eines europaweiten Projektes von Romeurope zur gesundheitlichen Situation von Roma in Europa war ein intensiver Kontakt zu einer Mitarbeiterin der Präfektur Thessaloniki entstanden, die im Rahmen ihrer Arbeit und auch weit darüber hinaus eine neu gegründete Containersiedlung, in der ca. 1500 griechische Roma leben, betreut. Die Siedlung "Agia Sofia" wurde mit EU-Geldern gebaut, um dieser großen Anzahl von Menschen, die vorher unter unwürdigsten Bedingungen in Zelten und Baracken ohne Elektrizität und Kanalisation lebten, kurzfristig eine menschenwürdige Unterkunft zu schaffen. Die Siedlung wurde mit den Roma zusammen geplant. Neben Containern mit Wasser, Strom, Sanitäranlagen und Betonterrassen für die Familien befinden sich auf dem Gelände ein Gemeindezentrum mit großem Versammlungsraum (allerdings noch nicht fertig) und einer kleinen Gesundheitsstation (2 Mitarbeiterinnen, die sich besonders um Frauen und Kinder kümmern), Es gibt einen großen Container für den Kindergarten und zwei Container, in denen Alphabetisierungskurse für Erwachsene und Rechts- und Sozialberatung stattfinden.

Die Entstehungsgeschichte dieser Siedlung, der praktische, an der Lebensrealität und der Not der Menschen orientierte Ansatz der Arbeit ohne den Anspruch auf theoretische Vollkommenheit und die Tatsache, dass hier Roma und Nicht-Roma gemeinsam ein Wohnungs- und Bildungsprogramm entwickelt haben, haben viele Ähnlichkeiten mit dem Ansatz unserer Arbeit.

Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung der Stadt Frankfurt zum Thema "Ethnische Minderheit Roma" war Frau Mazarakis eingeladen, um über das Containerprojekt zu berichten und die Arbeit des Fördervereins und der Kindertagesstätte "Schaworalle" kennen zu lernen.

Unser Besuch in Thessaloniki war eine Gegeneinladung der Präfektur.

Auf dem dicht gedrängten Programm der vier Tage in Thessaloniki standen Besuche in Agia Sofia, Gespräche mit den Romavertetern vor Ort, Gespräche mit den zuständigen Sozialarbeiterinnen und den Studentinnen, die sich um Gesundheitssituation, Alphabetisierung von Frauen und den Schulbesuch der Kinder kümmern, aber auch Besuche in den Schulen, die Kinder aus der Siedlung betreuen, bei der Gemeindeverwaltung, in deren Einzugsbereich das Containerdorf liegt, sowie einer Ausbildungseinrichtung der Präfektur Thessaloniki, die ein Programm für Romajugendliche entwickeln will. Wir besuchten das Gemeindezentrum eines Stadtteils von Thessaloniki, dessen Bevölkerung zur Hälfte aus Roma besteht, und waren bei der Gemeindeverwaltung eines Dorfes eingeladen, in dessen Einzugsbereich eine Romasiedlung liegt, die im Volksmund "der große Schlamm" genannt wird. Die Besichtigung dieser Siedlung, die katastrophalen Existenzbedingungen der Roma dort, führte uns vor Augen, welche Verbesserung das Leben in der Containersiedlung bedeutet.

Es wurde deutlich, dass die Bildungssituation der Roma, die Schwierigkeiten des Zugangs zu Schule und Ausbildung, die Entwicklung von Alphabetisierungs- und Arbeitsprogrammen neben Wohnen, Gesundheit und sozialer Situation die Themen sind, die bei aller Verschiedenheit in beiden Ländern doch viele Gemeinsamkeiten aufweisen.

Das Thema Schulbesuch der Kinder war für uns natürlich besonders interessant:

Die Kinder aus dem Containerdorf "Agia Sofia" zum Beispiel sollen alle in Regelschulen unterrichtet werden. Nur die Kurse für Frauen und junge Mädchen finden am Abend in der Siedlung statt.
Die Schulsituation der Kinder ist zur Zeit folgendermaßen geregelt: Jeden Morgen kommen Schulbusse und bringen die schulpflichtigen Kinder zu verschiedenen Schulen in der Umgebung. Die Schulen, die Kinder aufgenommen haben, befinden sich allerdings nicht alle in direkter Nähe der Siedlung. So haben viele Kinder eine recht lange Anreise zur Schule und müssen sehr früh an der Bushaltestelle sein.
Die Gemeinde, zu deren Gebiet die Siedlung gehört, hatte sich bislang noch nicht bereit erklärt, Kinder in die Schule aufzunehmen. Im Laufe der Woche, in der wir in Thessaloniki waren, gelang es allerdings, auch diese Gemeinde davon zu überzeugen, zumindest die neun Schulanfänger der Siedlung in die Grundschule am Ort aufzunehmen. Die Koordination der Beschulung der Kinder, die Begleitung der Schüler und die Hausaufgabenhilfe sowie die Mediationsarbeit zwischen Eltern, Schulen und auch Gemeinden werden von zwei sehr engagierten Studentinnen im Rahmen eines Projektes der Universität Ioanina übernommen. Eine der beiden Studentinnen ist Romni.
Wir besuchten eine der Schulen, in denen Romakinder aus der Siedlung unterrichtet werden. Nach dem Besuch von mehreren Klassen hatten wir ein längeres Gespräch mit einem Lehrer. In dieser Schule, einer Grundschule, werden zur Zeit ca. 20 Romakinder unterrichtet. Es gibt eine spezielle Vorbereitungsklasse, allerdings nur für die Hälfte der Unterrichtszeit. In den restlichen Stunden werden die Kinder altersgemäß in die Klassen integriert. Die Erfahrungen der Schule mit diesem Konzept sind sehr positiv. Die meisten Kinder kommen gerne und relativ regelmäßig zur Schule und die meisten Lehrer bringen ihnen und ihrer besonderen Situation Verständnis entgegen.
Dies ist allerdings nicht in jeder der Schulen, die Kinder aus der Romasiedlung betreuen gleich. So hat jede Schule ihr eigenes Konzept der Integration der Romakinder in den Schulalltag und auch das Verständnis bezüglich ihrer Lebenssituation ist nicht überall gleich positiv. Entsprechend regelmäßig oder unregelmäßig ist auch der Schulbesuch.

In den anderen beiden Dörfern war die Problemlage anders.
Als besonders schwierig und unregelmäßig wurde der Schulbesuch der Kinder in jenem Stadtteil Thessalonikis beschrieben, dessen Bevölkerung zur Hälfte aus Roma besteht.


In den Schulen dort finden die Kinder sich nicht wieder, sie suchen, der Tradition entsprechend, ihren Lebensweg ab einem bestimmten Alter außerhalb der Schule im Gewerbe ihrer Eltern und verlassen die Schule ohne Abschluss. In dem Gemeindezentrum, das wir dort besuchen gibt es eine Romamitarbeiterin, leider die einzige, die sich bemüht zwischen Elternhaus und Schulen zu vermitteln.

Interessanterweise ist der Kontakt der Romakinder, die unter den unwürdigsten Lebensumständen, leben, der beste. Beim Gespräch in der Gemeindeverwaltung, in deren Einzugsgebiet die Barackensiedlung "der große Schlamm" liegt, war ein Schulleiter anwesend, der sich schon seit Jahren um die Kinder und Familien der Siedlung kümmert. Ihm liegt viel am Schulbesuch der Kinder, er geht in die Baracken, redet mit Kindern und Eltern und überzeugt sie von der Wichtigkeit von Schule, kümmert sich aber auch um die sozialen Probleme der Leute, und darum, dass Gemeinde und Behörden die Probleme wahrnehmen und handeln. Dieser Schulleiter, ein Nicht-Roma, ist eine wichtige Vermittlungsperson geworden zwischen den Roma und den Nicht-Roma dieser Gemeinde. Die Romakinder fühlen sich sicher in der Schule und kommen gerne, auch wenn es im Dorf durchaus Probleme zwischen den Roma und den Nicht-Roma gibt.

Im Rahmen von EU-Programmen wird in Griechenland zur Zeit sehr viel geplant, um die Situation der autochthonen Roma zu verbessern. Alle Lokalpolitiker, bei denen wir zu Gast waren, haben uns versichert, dass ihnen dies sehr wichtig ist. Überall werden Programme zur Integration der vernachlässigten Minderheit ausgearbeitet, Programme zur Förderung des Häuserbaus, zur Integration in den Schulen, zur Ausbildungsförderung.

Dennoch war es wieder einmal interessant zu sehen, dass nur dort Maßnahmen greifen, wo einzelne Menschen, Roma und Nicht-Roma, mit ganzem Herzen bei der Sache sind, um die Brücke zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit zu schlagen.


Frankfurt, den 26.03.02

Sabine Ernst